Dänemark schafft SM als Krankheit ab  hilflos, gefesselt und erregt  Dänemark schafft SM als Krankheit ab
Dänemark schafft als erstes Land per Verbot durch das Gesundheitsministerium vor 29 Jahren die Diagnose F65.5 der ICD-10, also SM als Krankheit, ab.

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Re: „indirekter Fetisch“, Neigung und Sandkasten

geschrieben von nachtschatten  am 18.06.2011 um 19:28:04 - als Antwort auf: Re: „indirekter Fetisch“, Neigung und Sandkasten von anubis
Hallo anubis,

es fällt mir extrem schwer, meine Antwort auf deinen Text kurz zu halten, denn ich denke, das wäre sicher ein Thema, zu dem man sehr ausgiebige und spannende Diskussionen führen könnte. Aber ich fürchte, das würde den Rahmen dieses Forums ums vielfache sprengen.

Trotzdem muss ich ein paar Sätze loswerden. Ich sehe den Kontext zum Forum mal so: Wir sind hier auch eine Gemeinschaft von Menschen, die eine bestimmte Leidenschaft teilen, die man in vieler Hinsicht auch mit einer sexuellen Neigung verknüpfen kann. Wie alle Gruppen, die sich aufgrund ihrer Neigungen auch gegenüber der Gesellschaft präsentieren müssen, muss auch irgendwie die „Fesselgemeinschaft“ „gruppeninterne“ Diskussionen führen um eine Position zu gewinnen, mit der sie ihre Neigung und ihr damit verbundenes Recht auf politische, kulturelle und gesellschaftliche Anerkennung einbetten und verteidigen kann.


Die Kritik an der PA kann ich voll verstehen und finde ich auch wichtig. Ich denke aber, dass es ein Missverständnis ist, dass die PA alles durch Sexualität erklären will. Im Grunde geht sie von jenem angeborenen Drängen aus, das man allgemein Libido oder Trieb nennen kann. Diese Libido/dieser Trieb sind aber in der Sicht der PA erst einmal völlig ungerichtet und können ebenso in Zusammenhang mit z.B. der Nahrungsaufnahme gebracht werden. Ausserdem sieht die PA auch in Faktoren wie Anerkennung und Aufmerksamkeit, vor allem natürlich durch die Eltern, wichtige Aspekte frühkindlicher Entwicklung.

Ich denke, die Verhaltensbiologie ist eine wichtige Erkenntnisquelle. In meinem Verständnis ist allerdings der Mensch eine Spezies, die in einem solchen Maße kulturell und sozial geprägt ist, dass viele wesentliche Verhaltensmuster vor allem auf ihre Zusammenhänge in dieser Hinsicht betrachtet werden müssen.
Ein angeborenes Verhalten bei einem Tier betrifft in der Regel jedes Exemplar der Spezies. Ebenso sind alle rein biologisch bedingten Verhaltensweisen beim Menschen jedem Menschen eigen. (so zum Beispiel der Drang des Säuglings, an der Brust zu saugen, der Sexualtrieb als solcher etc..)

Nun stossen wir aber auf ein Problem: Es ist eben nicht so, dass sich jeder Mensch gerne fesseln lassen will und das geniesst. Du räumst ja schon ein, dass das „back to the womb“- Gefühl nicht komplett als Erklärung herangezogen werden kann. Ich denke eben auch, dass es hier noch einige verschlungene Wege der Psyche braucht, um einen derartigen Drang zu etwas so Speziellem zu empfinden. Wege, die eben nicht aus dem angeborenen Verhalten genährt werden, und die deshalb auch mitnichten jeder Mensch durchschreiten wird.

Und es sollte auch nicht vergessen werden: Das eigentliche Gebärmuttergefühl ist in keinster Weise an irgendeine Form sexueller Erregung gekoppelt – das Gefesselt sein bei der entsprechenden Neigung durchaus!

Hier sind wir schon bei einem ganz spannenden Aspekt. Wir finden etwas erregend, was viele andere Menschen sogar als unangenehm oder gar abstossend empfinden würden. Umgekehrt gibt es viele andere sexuelle Praktiken, die widerum von uns als unangenehm oder abstossend empfunden werden würden - auch wenn wir sie vom Kopf her akzeptieren, würde es uns doch „ekeln“, es selbst zu tun. Es muss also noch etwas in unserer Psyche eine ganz wesentliche Rolle spielen, denn würde es sich nur um Überbleibsel angeborenen Verhaltens handeln wären derartige Ambivalenzen unter den Menschen doch sehr sonderbar.

Es ist ja klar – um zu geniessen, brauchen wir Botenstoffe, die unser Körper aus genetisch bedingten Gründen produziert. Dass unser Körper einen ganz speziellen Cocktail aus Botenstoffen vorgegeben hat, der sozusagen in der Geschichte der Entwicklung der Spezies auch bestimmte Verhaltensweisen und Reaktionen bedingte und sich daraus entwickelte ist auch selbstverständlich. (Freud hat über soetwas wie Botenstoffe schon lange vor deren Entdeckung spekuliert)

Nun denke ich aber, dass es noch eine Reihe ganz spezieller, rein menschlicher Eigenschaften braucht, die über das Ganze sozusagen noch den psychosozialen Filter legen. Ich finde, das beweist das riesige Spektrum unterschiedlichster menschlicher Verhaltensweisen und Äusserungen.
Als Kulturwesen ist das Verhalten des Menschen nicht mehr im wesentlichen durch den Überlebenskampf in der Natur bestimmt, sondern vornehmlich durch die soziale und gesellschaftliche Akzeptanz und Anerkennung.

Ein Tier kann aggressiv reagieren, lernt durch „try and error“ und kennt sicher auch soetwas wie soziales Verhalten. Das ist auch nicht abwertend gemeint, und sicher auch für sich schon ein hochkompliziertes Gefüge,wenn man sich eingehend damit beschäftigt.

Aber ein Mensch kann Hassen, kann Lieben, kann Begehren. Alles Dinge, die etwas mit einem dauerhaften Zustand zu tun haben, ein Bewusstsein formen und aufbauen. Hier darf man auch den ganz elementar bewusstseinsbildenden Faktor der Sprache nicht unterschlagen. Und ich denke, diese Dinge machen es eben etwas komplizierter. Der Mensch hat eine Kultur geschaffen, die in ihren Ausformungen einfach keinen biologischen Sinn macht. Gleichzeitig ist sein Überleben aber mit diesem kulturellen aufs innigste verwoben.
Was Sinn macht und was nicht, was sein darf und was nicht, das bestimmt oft durch die Geschichte hindurch ein kultureller „Geschmack“, dessen Ursprung ich nur in der sozialen Psyche einer Gesellschaft sehen kann und der beinahe unendlich wandelbar ist, weil er eben nicht rein verhaltensbiologisch determiniert ist.

Mir ist dieses Thema nicht umsonst so wichtig:

Ich will dir keineswegs einen solchen Gedankengang unterstellen!! Aber ein allzu biologistisches Denken führte leider auch immer wieder dazu, bestimmte Verhaltensweisen, wie z.B. Homosexualität in Frage zu stellen, weil man eben hier nicht mehr den "ursprünglichen" Sinn erkennen konnte. Gerade im Zusammenhang mit den oben erwähnten Ekelgefühlen oder abschreckenden Eindrücken sehe ich im Biologismus ein unzureichendes Mittel, um ein breites Verständnis der Gesellschaft für alle Arten sexueller Äusserungen zu schaffen. (Was noch lange nicht heisst, dass man alle anerkennen muss – aber zumindest den dazugehörigen Menschen noch als Menschen und nicht als „entartetes“ Wesen zu verstehen wäre wichtig und sicher weiterführender.)

Als  jemand, der sich doch irgendwie immer wieder auch als unfreiwilliger Anghöriger einer „sexuellen Randgruppe“ (Fesseln und naja, schon auch irgendwie SM :-)) empfindet, werde ich mich hüten, zu einfachen Herangehensweisen an das Verständnis des Menschen allzu leicht beizugeben.

Natürlich kann man dann auch wieder irgendeinen biologischen Sinn für Homosexualität oder SM suchen und finden – wenn man will. Aber ich denke, die spannende Frage ist doch, warum eine Kultur das will und auch tut, und es eine andere ablehnt, und was es damit auf sich hat? Wenn es einfach im wesentlichen Verhaltensbiologie wäre, dann dürften sich doch solche Fragen gar nicht von Kultur zu Kultur immer wieder neu stellen.

Aber ich habe ja auch schon darauf hingewiesen, dass ich vor allem in breiten Kreisen der psychoanalytischen Schule ebenfalls eine extreme Pathologisierung abweichenden sexuellen Verhaltens sehe, die ich nicht minder bedrohlich finde.
Vielleicht sollte es darum gehen, aus verschiedenen Gedankengebäuden zu lernen, aber sie auch von  ihren starren Denkmustern zu befreien und neue Synthesen zu finden.


Alles in Allem geht es uns hier aber schließlich darum, verschiedene Sichtweisen oder auch nur Erfahrungen zusammenzutragen.
Und insofern möchte ich deine Perspektive mit deiner Buchempfehlung vor allem neben die meine gestellt sehen!

Ich fühle mich jetzt auch fast ein bischen schlecht, dass ich da nochmal so viel dazu eingeworfen habe. Sorry, es schien mir irgendwie wichtig. Ich möchte mich jetzt erst mal zurückhalten und hoffe sehr, dass sich auch noch andere ermutigt sehen, einfach etwas in ihrem Sinne beizutragen!

Vielleicht mal wieder eher ganz konkrete Erlebnisse und Erfahrungen!! ;-)
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Ich, Seilchen, distanziere mich hiermit vom Inhalt dieses Beitrags und mache mir diesen in keiner Weise zu eigen. 18.06.2011 19:28
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