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Re: BDSM als kultureller Forschritt?

geschrieben von nachtschatten  am 12.12.2011 um 16:59:05 - als Antwort auf: BDSM als kultureller Forschritt? von Liara88
Hallo Liara,

wie schon geschrieben, ein sehr spannender Ansatz. Man muss da jedoch sicher noch einiges erarbeiten, um dieser Idee mehr Halt zu geben.

In seinem herausragenden und im westlichen Sprachraum wohl einzigartigem Buch „The beauty of Kinbaku“ setzt sich Master „K“ ausführlich mit den Ursprüngen und der Geschichte des Kinbaku auseinander. Wie wahrscheinlich jedem bekannt sein wird, haben die japanischen Fesselvariationen ihre Vorläufer in speziellen Foltertechniken aus der Geschichte Japans.

Master „K“ wirft nun auch die Frage auf, wie es in der japanischen Kultur zu einer „Erotisierung“ solch brutaler Themen wie öffentliche Bestrafung, Folter und Hinrichtung kommen kann, und wie das dann mit der Zeit zu einer Kunst avanciert.

Dazu nennt er interessanterweise einige Punkte, die aus seiner Sicht ganz allgemein erfüllt sein müssen, und nimmt dann die Zeit des späten 18. und des frühen 19. Jahrhunderts in Japan als ein spezielles Beispiel heran. Für ihn bilden die zunehmend aufgabenlose Klasse der Samurai und die durch das Tokugawa-Shogunat relativ stabilen gesellschaftlichen und unkriegerischen Verhältnisse (Japan war vorher mehrere Jahrhunderte in Bürgerkriege zwischen verschiedenen Clans verstrickt) erst ein Umfeld, in dem gewisse Themen in SM-Kontexten erotisiert werden konnten und auch ein Publikum fanden, das die Zeit und die Aufmerksamkeit dafür aufbrachte.

Ich finde diese Sichtweise erwähnenswert in Hinblick auf die Frage nach „kulturellem Fortschritt“ in Zusammenhang mit BDSM. Bedeutsam ist für mich dabei der Aspekt, dass bestimmte kulturelle Freiräume, eine gewisse Sicherheit, und, was Master „K“ auch erwähnt, die relative Abwesenheit von tatsächlichen alltäglichen Grausamkeiten und Brutalitäten ein bedeutender Faktor für ein Klima sind, in dem SM als erotischer Kontext gedeihen kann. (Man kann das natürlich nicht einfach allgemein für die Tokugawa-Ära in Japan behaupten, aber man muss bedenken, dass der Autor sich ja hier auf die müßiggängerische Klasse der Samurai bezieht, die sich tatsächlich zunehmend schöngeistiger Kultur widmeten und sicher auch die entscheidenden Abnehmer von erotischen Seme-e (Zeichnungen bzw. Holzdrucke mit einschlägigem Kontext) für Künstler waren)

Leider gibt es kaum derartige Auseinandersetzungen mit der europäischen SM-Kultur. Ich denke aber, dass man diese Sicht womöglich durchaus verallgemeinern kann. Die entscheidende Frage für mich, die ich ja immer wieder mal angedeutet habe ist: was passiert mit SM-Neigungen in einer Epoche, in der Mitmenschlichkeit, Friedlichkeit, Achtung Aller und kultureller Freiraum zunehmend verfallen oder kein Gewicht haben? Was bedeutet eine SM-Neigung in einer Epoche, in der Raub, Mord und Vergewaltigung, sadistische Schauprozesse, Staatsterror und Folter an der Tagesordnung sind?

Und hier Liara, finde ich deinen Ansatz einen ganz, ganz wichtigen! Denn all die Aspekte, die du für SM nennst: Hingabe, Leidenschaft, Verantwortung, Zueinanderfinden, Konfrontation mit Ängsten usw. usw... , all diese Aspekte definieren SM eben ganz klar als etwas, das sich tatsächlich nur in eine „fortschrittliche“ Kultur einfügen kann.

Ich denke, ich verstehe sehr gut, was du hier meinst: SM als eine Form erotischer Inszenierung, die sehr tief in elementare Fragen eintaucht, komplex und vielseitig ist, Achtung und Selbstauseinandersetzung fordert und fördert und tiefe Zufriedenheit zurücklassen kann. Menschen, die SM reflektiert erleben, haben sicher oft eine wesentlich tiefere Auseinandersetzung mit ihrem sexuellen und zwischenmenschlichen Erleben, als Menschen, die Sexualität als eine schnelle Nummer nebenbei betrachten und dann lieber nebenher herablassend über das andere Geschlecht witzeln.

Ich denke, der entscheidende Aspekt in meiner Sichtweise ist, dass ich Sadomasochismus im Sinne einer sexuellen Spielart nicht als ein in sich abgeschlossenes Phänomen betrachte, das ähnlich einer Art oder einer Gattung innerhalb der Menschheit existiert.

Für mich ist das ein Zusammenspiel verschiedenster Faktoren. Sadismus und Masochismus müssen in meinen Augen nicht sexuell konnotiert sein. SM als erotisches Spiel ist etwas, was sich speziell der Sexualisierung dieser Themen bedient. Dass diese Sexualisierung bewusst als sexuell oder zumindest erotisch empfunden wird spielt dabei eine ebenso grosse Rolle, wie ein gesellschaftlicher Rahmen, der überhaupt erst eine derartige Bewusstheit zulässt. Und dieser gesellschaftliche Rahmen bietet auch erst die nötige Einstellung zu einem Gegenüber als eigenständiges Individuum, das sich frei entscheiden kann, und das juristisch wie ethisch als frei angesehen wird.

Warum ist das Thema Sadomasochismus als sexuelle Praktik wohl so schwer in der menschlichen Kulturgeschichte nachzuweisen? Weil es schlichtweg gar nicht existieren konnte! Denn es gab diese  spezielle Kombination an Faktoren einfach nie. Was aber sehr wohl nachweisbar ist, ist eine Menge an Masochismus und erst recht Sadismus. Aber noch die Bücher von DeSade, die erst im 18. Jahrhundert geschrieben wurden, kennen eine derartige Kategorie, wie wir sie verwenden, nicht. Und sie stellen auch nichts dergleichen dar – De Sade ging es ja gerade um die philosophische Infragestellung von Ethik und menschlicher Würde. Ihm ging es um ein fiktives Entfesseln aller Triebe im Menschen, um das Recht auf unhinterfragbaren Genuss, dem die Würde eines anderen Wesens keine Schranke sein darf.

Worauf ich eben immer wieder zeigen möchte ist, dass sich auch heute die Verhältnisse rasant ändern. Der Rahmen in dem die Art von sadomasochistischer Subkultur entstehen konnte, wie wir sie kennen ist extrem eng. Ich finde die Menschen, die das leben sehr anziehend und interessant und ich kenne leider viel zu wenige von ihnen. Aber von diesen Menschen rede ich gar nicht, wenn ich meine zu beobachten, dass die Sexualisierung von Sadismus und Masochismus, von Demütigung und Verachtung Dimensionen annimmt, deren Zukunft kaum vorauszusehen ist. Jener gesellschaftliche Rahmen, den ich meine wird zunehmend verschwinden, ich denke, auch in Europa. Die historischen Prozesse, die sich hier vollziehen werden, so meine ich, auch ihre Auswirkungen auf die Kultur der Sexualität haben. Mein Begriff der „Konsumentenhaltung“ ist nur ein Beispiel. Ich finde deshalb solche Diskussionen hier und jetzt wichtig, weil sie das, was wir  erleben, mit all seinen entscheidenden Kontexten bewahren und besser verständlich machen.  

Ich stelle zur Illsutration nur mal eine ganz unverfrorene Frage: Wie wird „BDSM“ wohl aussehen in jenen riesigen Slums der Weltstädte, in die sich kein Polizist mehr traut, in denen Familien in Blechhütten leben und Kinder sich auf der Strasse durchschlagen? Gerade jene, die von „BDSM-Genen“ oder Statistiken reden, müssten ja zugestehen, dass es dort ebenso Menschen mit „sadomasochistischen Neigungen“ geben muss. Was ist mit jenen Ländern, in denen Menschen 12, 14 Stunden in Fabriken stehen und danach immer noch hungrig nach Hause kommen, und dort Kinder zu versorgen haben, die alle im selben Zimmer mit leben. Wie könnte dort BDSM aussehen? Oder wie sieht „BDSM“ aus in Ländern, in denen Soldaten durch die Dörfer ziehen, mordend und vergewaltigend? Ich meine, wie leben es die Menschen dort, die auf sowas stehen – kann man das da überhaupt, also sexuell auf sowas stehen?(sh. das Argument von Master „K“ oben im Text)

Was ich zeigen will ist: das was wir hier erleben als unsere „Neigungen“ ist etwas, was auch zutiefst dem kulturellen und materiellen Kontext geschuldet ist, in dem wir uns befinden. Dieser Kontext wird sich wandeln. Sadismus und Masochismus werden bleiben. Die Frage, ob BDSM kultureller Fortschritt ist, ist insofern mit „Ja“ beantwortbar, weil es heisst, dass wir mit diesen Dingen bewusst umgehen, auf eine Art, die ihr  (selbst)zerstörerisches Potenzial womöglich kompensieren kann. Es bedeutet tatsächlich, wie du es beschreibst, Liara, sich mit der ganzen Bandbreite an Menschsein zu befassen: Lust, Angst, Schmerz und Geborgenheit. Es bedeutet lustvoll und kreativ zu sein und sich zu erfahren.

Was ich mit meinem Text anstossen will ist, dass es aber gerade den „kulturellen Fortschritt“ braucht, um das leben zu können. Insofern würde ich eher sagen, dass BDSM „kulturellen Fortschritt“ anzeigt, es kann ihn aber nicht schaffen. Dazu gehören all die Aspekte drumherum, die ich in meinen Texten immer wieder versuche bewusst zu machen.

Was wir aber  als Menschen, die sich für Sexualität und spezielle Spielarten interessieren durchaus schaffen können, ist eine Inspiration zu einer „Kultur der Sexualität“, die Erfüllung und Selbstfindung ermöglicht und damit einen wichtigen Grundstein legt für eine Gesellschaft, in der auch Zufriedenheit ein berechtigtes Bedürfnis aller sein soll. (Dazu müssen wir aber erst einmal den Schritt schaffen zu einer Gesellschaft, in der die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse im Vordergrund steht, und nicht die Befriedigung zahlungsfähiger Bedürfnisse) Das wäre für mich übrigens auch mal ein Vorschlag dafür, was wir eigentlich als „kulturellen Fortschritt“ definieren wollen.

„BDSM“ in Maßen ist, denke ich nicht das Ziel. Es geht hier um Grenzüberschreitungen – hier liegt erst der Kick. Nur, um den Gipfel eines Berges zu besteigen sollte man halt sich und den Berg kennen – sonst wird die Sehnsucht eben gefährlich. Etwas anderes wollte ich nicht ausdrücken.

Wenn ich hier so schreibe, dann muss das so klingen, als ob für mich Spielen etwas so todernstes ist, dass ich vor lauter Kopfzerbrechen und Verantwortung keinen Knoten mehr aufkriege.;-) Ist es nicht! Ich finde nur solche Diskussionen und Gedankenspielereien auch wichtig. Ich will aber deswegen wirklich kein Spielverderber sein! Manchmal befürchte ich ein wenig, dass ich gelegentlich so rüberkomme. Aber für mich gibt es nichts bedeutenderes und selbstverständlicheres als Leidenschaft und Erotik.


Grüsse

nachtschatten




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Ich, Seilchen, distanziere mich hiermit vom Inhalt dieses Beitrags und mache mir diesen in keiner Weise zu eigen. 12.12.2011 16:59
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